Stefanie Voigt Texte

Wann ist Design?


Der Satz „Wann ist Design?“ ist ein grammatikalisch hochgradig bedenkliches Konstrukt. Diese Frage entstammt aber nicht etwa dem Deutschtest eines legasthenischen Russlanddeutschen, sondern sie wurde im Rahmen eines Besetzungsverfahrens für einen Designtheorie-Lehrstuhl 2005 in vollstem Bewusstsein deutscher Sprachregelungen von deutschen Designern an die eigenen Artgenossen gerichtet. Eben an Designtheoretiker, diese armen Geschöpfe. Gäbe es sie gar nicht erst, hätten sie es leichter. Oder sie lebten wann anders, beispielsweise im 18. Jhdt. Zu der Zeit hatte eine deutsche Hochschule an ihre Gelehrten eine ähnlich klingende Preisfrage gerichtet: „Was ist Aufklärung?“ wollte man damals wissen. Kant hatte darauf geantwortet: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“. Damit hatte er nicht nur den Wettbewerb gewonnen, sondern auch ewige Berühmtheit. Mit einer Antwort auf einen grammatikalisch vollständigen Fragesatz, ein Kinderspiel. Die Frage „Wann ist Design“ ist da vergleichsweise schwieriger, so schwierig, dass die Befragung schwieriger Disziplinen Not tut. Da wären z.B. die Disziplinen Sprachwissenschaft, Religion, Geschichte, Kunst, Psychologie und Philosophie an. Und Systemtheorie. Denn was wäre systematischer und theoretischer? Hier die Ergebnisse:


Wann ist also Design? Laut Sprachgeschichte kommt Design vom italienischen disegno und bezeichnet einen unvollständigen Entwurf, egal ob den einer Kaffeekanne oder den eines Fragesatzes. Die Frage „Wann ist Design?“ ist demnach selber ein Designobjekt. Jede Antwort auf eine solche Frage auch, denn unvollständige Fragen ergeben unvollständige Antworten. Funktional wären solche Antworten dann nicht – was wiederum ein ganz grober Verstoß gegen geltende Designgesetze wäre. Sprachgeschichte hilft also nicht weiter, genauso wenig wie die sprachwissenschaftliche Definition von Design. Design wird definiert als moderne Formgebung industrieller Produkte, und zwar funktional-formschön. Leider ist Schönheit aber ähnlich relativ wie deutsche Satzbauregeln…


Kommen wir deswegen zur nächsten Disziplin, zur Religion: Es gibt Leute, die sagen: Design ist seit mind. 13 Milliarden bzw. 6010 Jahren und einigen genau gezählten Tagen, um genau zu sein, seit Donnerstag, 23. Oktober 6004 vor Christus. Das behaupten die sog. Kreationisten, ihres Zeichens Gegner der Evolutionstheorie. Ihnen zufolge ist die Welt das Werk des sog. Intelligenten Designers. Der ist aber nicht nachweisbar, auch nicht anhand eines Gewerbescheins. Es gibt bei den Designern sogar eine Unterabteilung namens Intelligent Design. Die meint aber natürlich etwas ganz anderes. Religionen bieten also keine verbindlichen Kriterien für die Wann-Frage des Designs.


Vielleicht aber helfen die verbindlicheren Wissenschaften, wie z.B. die Geschichte?

Aus Sicht der Historiker gibt es Design seit genau 231 Jahren. Denn 1774 flüchteten die Shaker, eine damals große Sekte, nach Amerika. Dort schrieben sie theoretische Richtlinien für die Herstellung von Gebrauchsgegenständen nieder wie z.B. für Wäscheklammern, Erbsenzähler oder Möbeln. Diese Richtlinien setzten u.a. auf Schlichtheit, Nützlichkeit und Harmonie. Heute gibt es kaum noch Shaker, wenn dann nur noch Cocktail-Shaker. Aber ihre Richtlinien haben überlebt. Genau diese Leitsätze moderner Produktgestaltung wurden 1919 vom Bauhaus sehr erfolgreich wiederaufbereitet, und in das oberste Mantra aller Designer übersetzt: Form follows funktion, z.B. von Übersee nach hierher. Dass Design quasi 1774 in Amerika auf die Welt kam und 1919 in Weimar getauft wurde, sagt aber nichts darüber aus, ab wann heutiges Design den Namen Design verdient.


Fast scheint es, als ob die Kunstfrage „Wann ist Design“ nur von Experten beantwortet werden kann. Aber auch die Kollegen von der Kunst helfen bei dieser Frage kaum weiter. Sollen sie ja auch nicht. So wie die Kinder von Lehrern immer die frechsten sind, so sind Künstler bekanntlich die schlechtesten aller Redner, zumindest laut Alltagspsychologie. Denn angeblich können Künstler nicht mehr künstlern, sobald sie sich ihren Gefühlen gegenüber distanzieren und sich entsprechend auf einmal artikulieren können. Darum hat Freud seinerzeit eine Behandlung Mahlers abgelehnt, weil er dessen nächste Symphonie nicht verderben wollte. Äußern sich Künstler trotz alledem, dann sagen sie selten etwas über Design. Denn Design ist der Kunst zu nieder. Die Hierarchie der Klischees ist in dieser Hinsicht eindeutig: Kunst gilt als zweckfrei und einmalig, Design nicht. Kunst ist rational unzugänglich, vielschichtig, poetisch und metaphernreich. Design nicht, sagen die Künstler, wenn sie überhaupt etwas sagen.


Aber dürfen dann Designer so künstlerisch fragen, „Wann ist Design“? Mit dieser rätselhaften Frage schleicht sich doch das Design in Hoheitsgebiete der Kunst. Das würde die Wann-Frage in dem Moment beantworten, in dem sie gestellt wurde. „Wann ist Design?“ Zack, sofortige Festnahme wegen Hausfriedensbruch. Design ist dann höchstens auf Kaution und bis dahin ist Kunst.


So wäre es, wenn es noch eine exakte Trennung zwischen Kunst und Design gäbe. Dem ist aber nicht mehr so. Design wurde in den letzten Jahren gegenüber der Kunst massiv aufgewertet und die Formel: Design ist, wenn es keine Kunst ist, gilt nicht mehr. Deswegen ist die scheinbar unerlaubt künstlerische Frage „Wann ist Design“ sogar sehr zeitgemäß, wenn auch weiterhin unbeantwortet.


Wann ist also Design? Zeitliche Eingrenzungen oder Definitionen von Design helfen scheinbar nicht weiter bei dieser Frage. Oder geht es vielleicht gar nicht um das Wann und das Design, sondern um das Ist? Ist Design?


Wer so existentielle Fragen hat, geht üblicherweise zum klinischen Psychologen. Und der weiß, dass Fragen nach Selbstdefinitionen in den meisten Fällen auf eine psychische Krise hindeuten. Und das ist besonders besorgniserregend, wenn Designer so fragen. Denn nach einer neuen Studie sind Design und Kunst die Studiengänge mit den unglücklichsten Studenten. Philosophen und Theologen sind übrigens am glücklichsten. Designer und Künstler sind also statistisch gesehen unglücklicher als Ärzte. Ärzte bringen sich statistisch gesehen am häufigsten selber um. Sind Designer so unglücklich, dass sie sich nicht einmal mehr zum Suizid aufraffen können? Böse Zungen würden mutmaßen, Designer könnten nur nicht lesen, sich deswegen auch nicht am eigenen Medikamentenschränkchen vergreifen wie die Ärzte – und bauen darum Sätze wie „Wann ist Design“. Wären Designer aber allesamt schreibschwach, würde die Literatur über Design nicht so boomen wie das derzeit der Fall ist. Nur leider – und das interessiert den behandelnden Psychologen sehr – liest diese Literatur keiner. Das sagen die Designer selber. Der Bedarf an Theorie sei zwar groß, aber was geschrieben wird, wäre dann angeblich doch zu theoretisch. Von der Beantwortung künstlerischer Wann-Fragen ganz zu schweigen.


Da wird der Psychologe sagen: „Soso, die Theorie krankt. Geht es wenigstens der Praxis besser?“ Aber leider gibt es auch dort Therapiebedarf. Graphikdesigner müssen mit billigen Graphikprogrammen konkurrieren. Der Begriff Design ist absolut inflationär, weil angeblich alles designed ist, von den Designer-Kinderschuhen bis hin zu Designer-Klopapier. Vielleicht außer Designerdrogen. Der Begriff Design ist von daher nicht in jedem Fall mit Prestige verbunden, und so etwas ist für das Selbstwertgefühl des Designers natürlich Gift. Und dann kommt noch dazu, dass Design laut Klischee teuer zu sein hat. Design ist gleich hoher Preis, aber den kann sich heute keiner mehr leisten. Auch Gift für die Psyche. Bei solchen Problemen kann der beste Psychologe nicht helfen. Wofür auch, Designer sind mit 80% Wahrscheinlichkeit arbeitslos, und somit schlecht krankenversichert. Kein Wunder, dass Designstudenten da unglücklich sind. Was kann man da noch machen? Was würden die ach so glücklichen Philosophen raten? Können sich Designer und Philosophen helfen, außer beim Ausfüllen der Hartz4-Anträge?


Philosophen sagen dazu: Man muss Philosophie betreiben. Das sei heute nötiger denn. Auch die Marktforscher blasen ins gleiche Horn und behaupten, dass Denkfähigkeit heute mehr zählt als materieller Besitz. Denn die Strukturen der Welt gelten inzwischen als so flexibel, dass in bester Darwinistischer Tradition die flexibelsten Hirnträger auch als aussichtreichste Überleber gelten. Software statt Hardware, so die Formel der letzten Jahre.

Diese Formel wurde überarbeitet und heißt mittlerweile high touch statt High-Tech. Also tiefe Emotionen statt Flachbildschirm. Denn das bloße Wissen über die Welt wächst zwar exponentiell an, aber goldene Zeiten sind deswegen noch nicht über uns hereingebrochen, viel interessanter erscheinen deswegen die Mysterien der Gefühle. Also sucht man verstärkt nach dem Geheimnis von Emotionen und vernetztem Denken. Alle jagen dem Geheimnis der Seele hinterher, Geisteswissenschaftler, Künstliche-Intelligenz-Forscher, Neurophysiologen und auch Motivationsmanager. Es gibt eben Qualitäten, in denen Menschen besser sind als Graphikprogramme und Brockhäuser, z.B. Empathie, Enthusiasmus oder eben Menschlichkeit, die ganz altbacken-philosophischen Phänomene.


Der Stardesigner Matteo Thun liest deswegen Heidegger, und sucht mit seinem Heideggerbuch in der Hand wie ein „Trüffelhund nach dem echten Wesen des Dings“. Das nennt er dann „no design“. Warum? Was die schon erwähnten bösen Zungen darüber sagen würden, liegt nahe. Doch auch in diesem Fall gibt es Alternativerklärungen: So wäre z.B. denkbar, dass die Wann-Frage des Designs oder das Wort no-design vielmehr genau beschreiben, was in den dazugehörigen Fragestellern und Trüffelhunden los ist. Oder bei der Deutschen Gesellschaft für Designtheorie und Forschung. Die definiert Design als „dazwischen“. Und um das nun tatsächlich zu verstehen bräuchte man die Konstruktionspläne der menschlichen Seele. Zwar hielt der Herrgott solche Konstruktionspläne bislang unter Verschluss, nicht aber dessen Psychologen. Diese Spezialisten für die menschliche Seele haben solche Pläne erarbeitet und setzen sie sogar in Formen Künstlicher Intelligenz um.


Will man die Sprache der Designer verstehen oder ist gar selber einer, liegt ein Blick auf eine bestimmte dieser Programmieranleitungen nahe, nämlich auf eine schwerpunktlastig ästhetische, eine, die menschliches Bewusstsein und ästhetische Wahrnehmung gleichsetzt. So wie das auch in dem uramerikanischen Ethik- und Anthropologie-Grundkurs Raumschiff Enterprise geschieht:

Auf diesem Raumschiff lebt der Androide Data. Der wäre gerne menschlich und was macht er dafür? Er malt. Denn Ästhetik bzw. das damit verbundene Empfinden von Schönheit macht Menschen sprichwörtlich menschlich. Das sagt Data uns das sagt auch diese Programmieranleitung. Schönheitsempfinden sei das grundlegend wichtigste aller Gefühle, das typisch Menschliche, das Menschen von Computern unterscheidet. Noch. Solche Theorien erklären, wie Menschen intuitiv und ästhetisch nach neuen Denkmustern suchen, wenn sie Probleme haben, z.B. beim Schürfen nach dem echten Wesen des Dings oder bei verwirrenden Fragen wie „Wann ist Design“. Dann tauchen die Menschen ab in einen Bereich intuitiven Denkens. Wenn rationale Lösungen ausgehen, lässt sich in diesem Bereich auch mit irrationalen und ästhetischen Suchmaschinen nach Lösungen fischen. In diesem intuitiven Tiefen greifen keine rationalen Konzepte mehr. Auch keine Konzepte von Design. Dann sind wir im no-design-Gebiet. So etwas hat den Vorteil, dass man dann aus vielen neuen Versatzstücken leichter wieder etwas Neues zusammenbasteln kann. Das ist wie beim Designen. Will man etwas Neuartiges entwerfen, dann erst mal ab ins Intuitive und dann zurück an den Arbeitstisch. Wann ist dann Design? Beim Eintritt in diesen Bereich oder bei der Rückkehr an den Arbeitstisch?


Die These „Design ist im no design-Gebiet“ entfällt als Antwort. Wie soll man sagen, wann dort Design ist, wenn man in diesem Bereich kein rationales Konzept haben darf, also auch kein Konzept von Uhrzeit? Das ist so verzwickt wie die Frage, ob ein Baum im Wald umgefallen ist, wenn es keiner gehört hat – übrigens eine beliebte Frage, nicht bei Holzfällern, aber bei Logikklausuren. Diese Frage ist mit rein formaler Logik nämlich nicht zu beantworten. Das gilt auch für die Wann-Frage des Designs. Für die intuitiv-ästhetische Informationsverarbeitung kann es nur wissenschaftliche Abstraktionen geben, wie z.B. die Umschreibung als psychologisch-neurophysiologische Informationsverarbeitung mit hohem Auflösungsgrad und niedriger Selektionsschwelle. Inhaltlich adäquate Bezeichnungen sind jedoch semantisches Sperrgebiet: No! Aber keine Antwort ist manchmal auch eine Antwort, eine no-answer in diesem Fall.


Ist Design dann beim Verlassen dieses Bereichs? Was soll man da sagen? Ein guter Designer steht immer mit einem Bein in diesem Bereich und mit dem anderen schon im Verkaufsraum, an welchem Bein klebt dann Design? Hier wie dort sind Antworten auf die Wann-Frage aus formalen Gründen nicht möglich.


Die Frage „Wann ist Design“ ist also aus verschiedensten Gründen ein Problem, aus sprachgeschichtlichen, religiösen, systemtheoretischen und anderen. Wie schade. Warum hat man für akademisch und ästhetisch evtl. weniger kompetente Mitbürger nicht einfach gefragt: „Wie entsteht zeitgemäß gutes Design“?


Das liegt daran, dass sich die heutige Mentalität derzeit ändert. Unser Denken wandert ab von bevorzugter Rationalität, hin in Richtung Intuition und Ästhetisches. Das fängt mit besagter Vermischung von Kunst und Design an, und endet damit, dass immer weniger gelesen, aber immer mehr ferngesehen wird. Überall Werbeplakate, Lifestyle-Magazine, Genuss als Unifach, Professuren für Frisuren. Philosophen wie Cassirer oder Heidegger haben dieses Interesse am Ästhetischen schon lange vorhergesagt. Von Cassirer gab es die These vom „neuzeitlichen Übergang von Substanz zu Funktion“, also von Materie zu ästhetischem Erleben. Heidegger sprach vom „Vorhandensein“ und „Zuhandensein“. Psychologen übersetzen das mit „Flow-Zustand“. Man ist so in etwas versunken, dass alles um einen herum unwichtig wird, so auch Satzbauregeln. Dieser Zustand ist nicht nur schön, er ist momentan in der Forschung auch ganz schön wichtig.


Diese neue Ästhetik-Offensive verspricht viel, aber leider nicht nur Gutes. Nicht jede ästhetische Erfahrung ist der eigenen Sache dienlich. Beispiel Heidegger als Inspirationsquelle für Matteo Thun: Heidegger war zwar erfolgreicher Philosoph, aber als Mensch sehr umstritten – „raffiniert im Denken, aber primitiv im Leben“, so einer seiner Schüler. Es gibt andere Philosophen, nach denen Heidegger so nie ein guter Designer geworden wäre. Dafür braucht man nämlich nicht nur Hirn, auch nicht nur Hirn und irgendwelche ästhetischen Gefühle, sondern Hirn, Herz und Rückgrat. Werte sind wichtig. Philosophen sagen das ja schon lange. Die New Yorker Börse sagt das mittlerweile auch und schreibt seit 2004 vor, dass alle dort notierten Firmen businessethische Unternehmensgrundsätze haben müssen. In dieser Entwicklung wäre eine Verbindung von Ethik mit Ästhetik konsequenterweise der nächste Schritt. Eine entsprechende Systemtheorie, die tut Not, wäre aber mit Hilfe eines der genannten psychologischen Modelle möglich. Dann gäbe es Design einer ganz neuen wissenschaftlichen Art. Entsprechende Theoretiker müssten damit klären können, warum z.B. London in punkto Design so erfolgreich ist, und ob da ein Zusammenhang besteht zwischen Werten wie Teetrinken und Design. Gäbe es eine solche Theorie, dann könnte man mit Kant sagen: Design ist der Eingang des Designers in seine selbst-bewusste Menschlichkeit. Denn wie gesagt: Menschsein und ästhetische Wahrnehmung sind eins. Deswegen könnte solches Design eine neue Leitdisziplin werden, die nicht nur die Wann-Frage kohärent beantworten kann. Aber noch ist das Zukunftsmusik.


Die Frage nach dem Wann zeitgemäßen Designs ist also solange nicht zu beantworten, solange es keine Theorie gibt, die alle hier vorgestellten Disziplinen abdeckt, von Ästhetik bis Ethik und von Bauhaus bis zum Haus des Psychologen. Die Wann-Frage ist solange nur ein Indiz für derzeitige Mentalitätsänderungen, die zu verschiedenen kognitiven Grenzgängen zwingen. Man könnte sie deswegen formaljuristisch als Borderline-Syndrom bezeichnen, original zu übersetzen mit Grenzverstoß zwischen Normalität und Wahnsinn, und in unserem Fall mit Grenzverstoß zwischen allem möglichen, Deutscher Sprachregelung und Dadaismus, Design und Kunst, Rationalität und Mystik. Solche Grenzüberschreitungen sind nichts Schlimmes. Lessing hat einmal gesagt: „Wer nicht manchmal den Verstand verliert, der hat keinen“. Ebenenwechsel dieser Art gelten sogar als Indiz für Intelligenz. Sie ermöglichen neue Denkmuster und Gefühle, kurz gesagt: Bewusstsein. Deswegen sind Border-Collies so glücklich wie lebendig und klug. Wie auch manche Philosophen.

Bis es eine dazu passende Theorie gibt, gilt: Der Weg ist das Ziel ist das Hundespielzeug – so eine poetische Antwort auf die Frage „Wann ist Design“. Denn eine poetische Frage verdient eine poetische Antwort. Diese Antwort wäre insofern auch inhaltlich stimmig, als die Suche nach Antworten laut psychologischer Systemtheorie exakt der halbe Weg hin zu neuen Lösungen ist. 50% der Anstrengung für eine Designidee funktionieren also wie dieser Vortrag, suchend wie ein Borderline-Collie –, und der Rest kommt dann auch noch. Und wenn der Rest dann da ist, dann ist Design – so eine rationalere Antwort. Wenn dieser Rest dann ein Gefühl auslöst, als ob gerade ein ganz tolles neues Lied im Radio erklingt, dann handelt es sich vielleicht sogar um gutes Design, wie direkt aus London.



Summary: When is Design?


Strolling through the most important disciplines of the humanities, one finds three answers to the question “When is design?“:


Answer # 1: No answer. The question is a grammatically incomplete sentence and so, for formal reasons, it cannot be answered. The fact that there are different definitions of design makes this problem only harder.


Answer # 2: The incompleteness of the question “When is design?” has psychological reasons. Whenever a person has cognitive problems and is searching for new patterns of thinking, then the following is bound to happen: The person in question starts to think not only rationally and reasonably and searches in an intuitive way for correlations which might help in the confrontation with the problem. A rational approach to new concepts of design would be the question “What makes design design?” That other way of thinking allows for non-discursive questions like “When is design?”

Another word for this creating of unusual correlations is “thinking in networks” or creativity. This way of thinking nowadays is booming, because the world is getting more complicated at an ever increasing speed. This causes trouble for each and everyone, also for design, for the practice and the theory of design. Therefore it is no wonder that design is asking in such a creative manner “When is design?”. Because asking this way, one also gets creative answers. To be up to date, such an answer more than ever would have to transport emotions and ethics. If there was a theory which could connect these two aspects with the theory of aesthetics in an academically acceptable way, then it would be possible to give a formally correct answer to the when-question of design. Following Kant’s definition of enlightenment, this would be the designer’s immersion in his human self-responsibility. That means, answer # 2 is: There will be an answer as soon as there is such a theory.


Answer # 3: It is not the case that, just because there is no such theory, there is no new and topical thinking going on. On the contrary. The ongoing search may not yet be included in a theory, but it is half the way towards a theory and towards current objects of design. Until there will be a theory, this formula is valid: The way is the goal. For this searching has a kind of psychologically elevating value in itself – as this paper may have, too.


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